Lawfare – der juristische Krieg in Lateinamerika
Die andauernde Verfolgung von Ex-Präsidentin Cristina Kirchner und der Versuch Lula da Silva in Brasilien zu inhaftieren, sind Beispiele einer neuen Technik nicht konventioneller Kriegsführung, die als “Lawfare” bekannt ist.
Die Rechten unserer Region haben diese in den letzten Jahren als bevorzugten Mechanismus eingesetzt, um Volksregierungen zu stürzen und ihre Führung schlechtzumachen, um sie aus der Regierung zu verdrängen, sie einzusperren oder zumindest auf grausame Weise in Verruf zu bringen. Dabei machen sie in diesem Krieg zu Zwecken politischer Verfolgung, Zerstörung des öffentlichen Ansehens und
des Unschädlichmachens eines politischen Gegners unrechtmäßigen Gebrauch von juristischen Instrumentarien. Dabei werden scheinbar rechtliche Handlungen mit einer ausgedehnten medialen Berichterstattung kombiniert, um Druck auf den Angeklagten und seine Umgebung (nahe Angehörige eingeschlossen) auszuüben, und zwar in einer Form, damit dieser gegenüber den unbewiesenen Anschuldigungen verwundbarer wird.
Aber was bedeutet nun “Lawfare”? Der Begriff beschreibt “eine Art nicht
konventioneller Kriegsführung, bei der das Gesetz als ein Mittel angewandt wird, um ein militärisches Ziel zu erreichen” und wird in diesem Sinne in “Unrestricted Warfare” verwendet, einem 1999 erschienenen Buch zu Militärstrategien. Im Jahr 2001 beginnt die Verwendung des Konzepts nach Veröffentlichung eines von Luftwaffengeneral Charles Dunlap der Duke Law School verfassten Artikels. Die USA sind einer der wichtigsten Anbieter von Beratungsleistungen bei der Reform von Justizapparaten in Lateinamerika, und das US-Justizministerium hat in den letzten
Jahren in Bezug auf Korruptionsbekämpfung die Beziehungen zu den Behörden der Region ausgeweitet. Eine der wichtigsten Aktionen in diesem Zusammenhang war das sogenannte Projekt “Puentes”, das aus Beratungskursen für verschiedene Mitglieder der Justiz Brasiliens und anderer Länder der Region bestand. Meisterschüler war dabei der Richter Sergio Moro, der Betreiber des Falls Lava Jato war und Lula zu neun Jahren Gefängnis verurteilt hat.
Dazu wird eine Komplizenschaft von Justiz und Kommunikationsmedien benötigt, die in absoluter Übereinstimmung an dem Ziel arbeiten, am Kampf beteiligte, populare und politische Ausdrucksformen zu verreißen, was immer stark durch die Medien verbreitet wird, um dann Kapital zu schlagen aus den Ergebnissen der Zerstörung, der Lähmung und Herabwürdigung von popularen Vertretungsorganen, die sich den Interessen der großen Wirtschaftsgruppen entgegen stellen.
Die Justizgewalt in unseren Ländern ist in den letzten Jahren zu einem mächtigen Feld geworden, in dem sich fast grenzenlos Strategien der Destabilisierung und politischer Verfolgung entfalten, bis sie sich schließlich sehr weit vom republikanischen Prinzip vom Gleichgewicht der Gewalten entfernt. Sie ist die Einzige, die sich nicht aus dem Willen des Volkes ableitet, sondern aus komplexen Mechanismen politischer Berufungen und Auswahlverfahren hervorgeht und zusätzlich noch Privilegien besitzt, die andere Gewalten nicht haben. Das ermöglicht
es ihr, politisch unter einem institutionellen Schutzmantel zu operieren. Die ständige Argumentation hierbei ist die Korruption. Es wird behauptet, dass man sie aus dem Staat entfernen müsse, indem man an die “guten Praktiken” des Privatsektors (Effizienz und Transparenz) appelliert, um die “Logik” des Öffentlichen zu verdrängen, die man mit der Verschwendung und der Misswirtschaft “der Politiker” verbindet, um auf die Ausbildung apolitischer Techniker zu setzen.
Die Aktivitäten der großen Medien sind da bekannter und offenkundiger. In einem Anfall ungewöhnlicher Aufrichtigkeit wurden diese von einem Redakteur der Clarín sogar als “Kriegsjournalismus” charakterisiert.
Politiker, die Korruption anprangern, Medien, die dies weiterverbreiten, Politiker und Medien, die von der Justiz Schnelligkeit einfordern, Mechanismen der juristischen Gewalt, die unabhängige Richter disziplinieren oder ausschließen und Magistrate, die ohne Beweise verurteilen und ohne den gebotenen Prozess Haftstrafen verhängen ‒ all dies erleben wir in Lateinamerika tagtäglich. Auf diese Weise wurden
Manuel Zelaya in Honduras, Fernando Lugo in Paraguay, Dilma Rousseff in Brasilien abgesetzt und der Vizepräsident Ecuadors, Jorge Glass, sowie hunderte von Kämpfern eingesperrt. Man beabsichtigt, mit Verfolgung und Gefängnis jene Vertreter des Volkes zum Schweigen zu bringen, die sich dem Plan entgegenstellen könnten, das in den letzten Jahren Erreichte ungeschehen zu machen.
Oscar Laborde ist Direktor des Instituto de Estudios de América Latina beim argentinischen Gewerkschaftsbund, Ideal-CTA und Abgeordneter des
lateinamerikanischen Parlaments, Parlasur.
Amerika21 |Übersetzung: Klaus E. Lehmann